Im Hinterkopf behalten

Das jährlich stattfindende Global Forum on Nicotine (GFN) ist eine in Dampfer-Kreisen anerkannte Veranstaltung. Sie dient dem Austausch verschiedenster Protagonisten aus dem Bereich der Nikotinforschung, der Entwicklung alternativer Nikotinprodukte und Konsumentenvertretungen und kann immer mit bekannten Namen aufwarten. Gerade ging das GFN23 unter dem Motto „Tobacco harm reduction – the next decade“ zu Ende.

Nun leben wir in sehr „interessanten“ Zeiten und das Phänomen der Kontaktschuld ist eine alltägliche Erscheinung geworden. Man muss nur ein paar Worte mit der vermeintlich „falschen Person“ wechseln, und schon wird man in den (ebenfalls vermeintlich) „üblen Dunstkreis“ dieser Person gestellt und kann dafür öffentlich gegrillt werden.

Was das mit dem GFN zu tun hat? Gnaaah… na schon ein bisserl…

Dazu ein paar Hintergründe: Das GFN ist eine Veranstaltung, die von der Knowledge Action Change Limited (KAC) organisiert wird. Die KAC wiederum wird von der Foundation for a Smoke-Free World (FSFW) finanziert, die ausschließlich(!) von Philip Morris International (PMI) finanziert wird. Der Leiter, Professor Gerry Stimson, zeigte in der Vergangenheit bei seinen Projekten auch keine Berührungsängste mit Big-T (BAT).

Das GFN erhält also über ein paar Umwege (wie es in diesen Kreisen üblich ist) einen nicht unerheblichen Teil des Geldes, welches für die Finanzierung der Veranstaltung benötigt wird. Dass ein anderer Teil über Teilnahmegebühren finanziert wird, ist eine Tatsache, ändert aber nichts daran, dass solche Seilschaften sehr gerne als Argument gegen Organisationen eingesetzt werden.

In meinen Augen ist eine Teilnahme als Zuschauer/Zuhörer nicht problematisch, selbst wenn versucht werden sollte, sowas wie eine „Kontaktschuld“ aufzubauen. Es gibt da etliche Veranstaltungen, die absolut nicht im Verdacht stehen, von Big-T gesteuert zu sein.

Problematischer wäre aber die Annahme von irgendwelchen Zahlungen oder geldwerten Vorteilen, denn hier muss klar sein, dass dieses letztlich von PMI, also der Tabakindustrie stemmen. Da hilft auch nicht das seit einiger Zeit krampfhaft versuchte Greenwashing von Philip Morris, mit dem sie sich als Vorkämpfer für eine Rauchfreie Welt darzustellen versuchen. Da etwas anzunehmen (z.B. Reisekosten- oder Unterkunftserstattungen) ist ein gefundenes Fressen für die Gegner des Dampfens und wäre eine Grenzüberschreitung auch für Organisationen, die beteuern, in keinerlei Abhängigkeit zu Big-T zu stehen.

Es ist mittlerweile echt anstrengend geworden, alles mögliche zu durchleuchten und sein Verhalten entsprechend auszurichten, aber wohl unumgänglich, weil wir sowieso schon auf nahezu verlorenem Posten kämpfen. Die Einschläge kommen immer näher, weshalb wir bemüht sein sollten, das Dampfen nicht als Strategie der Tabakindustrie zur Erschließung „Süchtiger“ aussehen zu lassen.

Das sollten wir bei aller Begeisterung immer im Hinterkopf behalten!


An dieser Stelle war der Artikel am Donnerstag fertiggestellt…

Dann flatterten aber einige Informationen rein, die mich die ganze Angelegenheit noch einmal überdenken ließen… und ich kann ihn mit diesem Fazit nicht so stehen lassen.

Es wurde ein Artikel vom BVRA veröffentlicht: 10 Jahre Tobacco Harm Reduction – eine Bilanz (arch)

In dem Artikel wird über den Besuch der „BVRA-Delegation“, bestehend aus den Vorstandsmitgliedern Simon Bauer und Markus Ense, berichtet.

Feine Sache, darüber zu berichten, weil sie dabei waren.

Das erste Mal kam ich bei einer Passage zum zweiten Veranstaltungstag ins Stolpern…

Um 18 Uhr schließlich eröffnete Jessica Harding als Vertreterin der KAC Communications in ihrer Ansprache ganz offiziell die Konferenz. Knowledge Action Change war der Veranstalter des GFN23 und wird über die Foundation for a Smokefree World und damit auch mit Stiftungsmitteln von PMI finanziert.

Hervorhebungen durch mich

Dass Jessica Harding für die KAC Communications arbeitet, hat mich schon so richtig überrascht (hab nen Schrecken bekommen). Das liegt daran, dass sie zu den „Aktiven“ der European Tobacco Harm Reduction Advocates (ETHRA) gehört(e?). Sie war es seinerzeit, die die ExRaucher-IG angeschrieben und gefragt hat, ob sie nicht Partner der ETHRA werden möchte. Tabakindustrie und THR widersprechen sich schon ziemlich. Und die KAC hängt nunmal am finanziellen Tropf der Tabakindustrie.

Ob Frau Harding überhaupt noch zu den Aktiven der ETHRA gehört, weiß ich nicht. Die ExRaucher-IG hat sich ja eh aus dem „politischen Geschäft“ zurückgezogen und existiert nur noch „virtuell“. Sie taucht aber weiterhin als Partner der ETHRA auf. Um mögliche Berührungspunkte zur Tabakindustrie zu vermeiden, wird sie nun auch die Partnerschaft beenden.

Nen Hammer fand ich aber, dass der BVRA ganz unverblümt mitteilt, dass das GFN im Endeffekt zum großen Teil aus Mitteln von PMI finanziert wurde. Wenn ein Konsumentenverband das weiß, kann er trotzdem hinfahren… es hat dann halt ein Gschmäckle.

Auf seiner Webseite, bei den FAQ (arch) definiert der BVRA eine „rote Linie“:

Die Einflussnahme der Tabakindustrie auf den Dampfermarkt sehen wir problematisch. In der Wahrnehmung der Öffentlichkeit entsteht der Eindruck, dieser Markt ist nur ein neues Spielfeld der Tabakindustrie.

Durch die Lügen der Vergangenheit ist die Glaubwürdigkeit der Tabakindustrie nachhaltig geschädigt. Und damit auch die Reputation aller Verbände, die offen mit ihnen zusammen arbeiten. Diese rote Linie werden wir nicht überschreiten!

Das klingt zunächst so, als wäre eine Zusammenarbeit mit der Tabakindustrie generell ausgeschlossen. Wenn man sich aber die Formulierung auf der Zuge zergehen lässt, dann sieht es doch anders auch. Es ist hier nämlich nur von der „offenen Zusammenarbeit“ die Rede. Bedeutet im Umkehrschluss, dass eine verborgene, oder nicht offensichtliche Zusammenarbeit nicht ausgeschlossen wird. Die rote Linie wird mit der Teilnahme an dieser, von Big-T finanzierten Veranstaltung nicht überschritten.

Beim Fazit kommt man dann aber nochmals ins Stolpern. Nämlich eben wegen dieser „nicht-offenen“ Zusammenarbeit oder zumindest dem billigenden Inkaufnehmens, dass man da auf einer Hochzeit der Tabakindustrie getanzt hat.

Im Artikel des BVRA steht nämlich:

Im Grunde ist die GFN Konferenz in Warschau das Gegenstück zur jährlichen Tabakkontroll Konferenz in Heidelberg. Während in Warschau die Tobacco Harm Reduction als eine der effizientesten Methoden zum Rauchstopp angesehen wird, setzt man in Heidelberg beim DKFZ und der WHO auf Verbotskultur. Harm Reduction bei der Tabakkontrolle wird diskreditiert als trojanisches Pferd der Tabakindustrie. Einladungen nach Warschau werden ignoriert. Offenbar verweigert man sich dem evidenzbasierten wissenschaftlichen Austausch und predigt am liebsten nur vor Bekehrten.

Hervorhebungen durch mich

Die erste Aussage ist sicherlch unstrittig. Es wird da in erster Linie über THR gesprochen… die Veranstaltung dreht sich um genau dieses Thema. Und die überwiegende Zahl der Teilnehmer, Redner etc. haben sicherlich auch nix mit der Tabakindustrie am Hut.

Aber…

Harm Reduction bei der Tabakkontrolle wird diskreditiert als trojanisches Pferd der Tabakindustrie.

Genau DIESER Eindruck entsteht doch, weil die Veranstaltung von einem großen Player der Tabakindustrie finanziert und sicherlich auch mitbestimmt wird. Und „trojanisch“ ist das Pferd, weil diese Tatsache hinter den Kulissen gehalten wird. Es wird nicht wirklich offen kommuniziert. Und genau das verstärkt den Eindruck, dass hier Big-T irgendwas bewirken möchte.

Deshalb verwundert es auch nicht, dass Einladungen an Personen oder Organisationen aus dem Umfeld des dkfz. ignoriert werden. Die sind da halt strikter und nehmen an nix teil, wo Big-T die Finger drin hat. Da hilft auch die beste „wissenschaftliche Evidenz“ nichts, wenn es mit der Tabakindustrie zusammenhängt. Dafür hat diese Branche in der Vergangenheit zu viel Mist gebaut und seine Marktmacht auf Lug und Betrug gegründet.

Hier wird also etwas angeprangert, das man selbst aber einfach so hingenommen hat.

In meinen Augen ist das sehr unglücklich und kann durchaus dazu führen, dass ein paar deutlich sichtbare Brandwunden beim BVRA verbleiben. Vor allem deshalb, weil aus dem Artikel ganz klar hervorgeht, dass sie WUSSTEN, wer die Veranstaltung finanziert und bestimmt, welche Lieder gespielt werden. Das kommt in der Politik (obwohl es da auch viel Filz und Korruption gibt) nicht gut an. Hätte man den Passus aus dem Artikel herausgelassen, dann hätte man, wäre einmal die Sprache auf diesen Umstand gekommen, einfach behaupten können, das hätte man ja gar nicht gewusst. Zwar ein wenig peinlich… aber zumindest hätte es nach Fahrlässigkeit ausgesehen.

Na ja. Deswegen allein hätte ich hier nicht weiter geschrieben. Doch der eigentliche Korken kommt noch!

Und zwar in Gestalt des BVRA-Newsletters Nr. 19 vom 30. Juni 2023 (arch):

Dem Verband entstanden dabei nur durch die Konferenzgebühr Kosten, Hotel und Anreise haben wir als Konsumentenvertreter vom Veranstalter erstattet bekommen.

Schaut man abermals in die FAQ des BVRA, kann man da lesen:

Der BVRA finanziert sich durch Beiträge seiner Mitglieder und durch Spenden. Fördergelder und Spenden von Personen oder Firmen, die der Tabakindustrie nahe stehen, lehnen wir strikt ab.

Huuups…

Ok, DEN Punkt können sie nun aus den FAQ löschen. Sie haben, sehr wohl wissend, woher die Mittel kommen, Gelder der Tabakindustrie angenommen. Damit ist die behauptete Grenze zur Tabakindustrie endgültig überschritten und der Name verbrannt.

Sicherlich ist das im Vergleich zu dem, was sonst an Filz und Geldflüssen stattfindet, lächerlich… aber die Gegner können trotzdem belegbar behaupten, auch der BVRA lässt sich von Big-T bezahlen. Das kratzt mehr als nur ein wenig an der Glaubwürdigkeit, was die Ferne zur Tabakindustrie anbelangt.

Das war nun wirklich nicht sehr professionell und hat einen Schaden angerichtet, der sich nicht mehr beheben lässt.

Ist aber auch nicht schlimm, denn ums Dampfen in ganz Europa steht es eh nicht gut… und auch da lässt sich vermutlich nix mehr löten.

4 Antworten zu „Im Hinterkopf behalten“

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