Da dachte ich, die Presse habe in den vergangenen Wochen ihr Potential an „alternativen Fakten“ über das E-Dampfen schon vollkommen ausgereizt (zuletzt auch wieder mit kreativer Mitarbeit seitens des dkfz. z. B. in der Zeitung Rhein-Main Extra Tipp oder der Berliner Zeitung), da kommt der Standard daher und schießt den Vogel ab.
E-Zigaretten: „Es droht eine Gesundheitskrise“ (archive.org)
Allein der Titel ist doch schon „hammer“. Da wird dem Leser vorneweg klar gemacht dass es eine KRISE droht… eine
„GesundheitsKRISE„.
Nicht durch Ebola, nicht durch Schweinegrippe, nicht durch irgendeine dramatische Seuche, die zigtausend Menschen dahinraffen wird, sondern durch „E-Zigaretten“ (falscher ugs. Begriff für „E-Dampfgeräte“). Es kann also sein, dass zigtausende Menschen weltweit bald durch das E-Dampfen verrecken werden, wenn nicht schnell Gegenmaßnahmen ergriffen werden.
Alles klar! Hab ich verstanden! Nun bin ich gespannt, wie man mir diese drohende KRISE erläutert.
Und gleich im ersten Absatz wird von einer neuen Generation von „Nikotinabhängigen“ geschrieben. Hut ab! Es geht also nicht um die alte Generation von Tabakabhängigen, sondern um eine ganz neue Diagnose… „Nikotinabhängigkeit“. Schade nur, dass sich das noch nicht unter den wirklichen Experten herumgesprochen hat… denn bislang gibt es (noch immer) lediglich die Diagnose „Tabakabhängigkeit“ (ICD 10 und DSM IV), die sich ganz klar von einer theoretischen „Nikotinabhängigkeit“ abgrenzt. Weit verbreitete und begründete Meinung in der Wissenschaft ist nämlich, dass Nikotin unabhängig von den anderen Substanzen im Tabakrauch nicht bzw. nur selten oder wenig süchtig macht.
Aber ok… man könnte darauf reinfallen, dennoch eine „Nikotinabhängigkeit“ zu vermuten, wenn doch z. B. der deutsche Gesetzgeber aufgrund der Verpflichtung der TPD2, Hersteller und Händler dazu verpflichtet, die (wissenschaftlich unbewiesene) Lüge
„Nikotin: einen Stoff, der sehr stark abhängig macht“
auf die Produkte zu drucken.
Trotzdem wird daraus noch nicht die Wahrheit, es bleiben „Fake News“ bzw. „alternative Fakten“.
Dann wird die Studie „Nicotine, Carcinogen, and Toxin Exposure in Long-Term E-Cigarette and Nicotine Replacement Therapy Users: A Cross-sectional Study ins Spiel gebracht und nebenbei gesagt, dass signifikant weniger gesundheitsschädliche bzw. kanzerogene Stoffe im Speichel und Urin von E-Dampfern im Vergleich zu Tabakrauchern gefunden wurden.
Weggewischt wird dies aber gleich, indem Bezug auf die „Studie“ (die in wissenschaftlichen Kreisen aufgrund ihrer Unzulänglichkeiten und ihrer Aussagekraft mehr als nur umstritten ist… im Gegensatz zu der „weggewischten“ Studie) der California University genommen wird und aus deren mageren Ergebnissen mögliche Auswirkungen auf Gefäße und Herz und „männliches Stehvermögen“ gefolgert werden. Das führt dann zu der Aussage
„Zweifellos schädlich„.
Es gibt also keine Zweifel, dass E-Dampfen schädlich ist. Nun, dann mal her mit den Beweisen! Führt die nicht unerhebliche (denn die wäre erforderlich) Zahl an Menschen auf, die aufgrund des E-Dampfens (und nur und genau aufgrund des E-Dampfens) ernsthaft erkrankt sind oder starke gesundheitliche Beschwerden haben!
Leider Fehlanzeige. Wird nicht bewiesen, wird nicht nachgewiesen, werden keine Fallzahlen und Symptome genannt.
Und dann kommt der „Experte für Suchtfragen und Nikotinabhängigkeit“ ins Spiel… der Leiter der UROLOGIE an der MedUni Wien, der die erstgenannte Studie dafür missbraucht zu „belegen“, dass E-Dampfen ja doch riskant sei, weil man im Urin dieser Menschen (mit Urin kennt er sich aus) bestimmte Schadstoffe gefunden hat. Leider hat er nach dem Lesen der Studie (so er sie wirklich gelesen haben sollte) nicht seinen eigenen Geist bemüht und ist über die EINZIGE KLEINE Schwäche der Studie gestolpert (siehe hier: Fantastische Studie mit kleiner Schwäche – Verunstalten geht trotzdem)… nämlich dass leider vergessen wurde, die Daten einer Kontrollgruppe einzubeziehen, die weder geraucht, noch gedampft, noch NRT zu sich genommen hat. Es ist nicht auszuschließen (ja sogar wahrscheinlich), dass einige der gefundenen Substanzen (zumindest in Teilen) weder vom Rauchen, noch vom Dampfen oder NRT-Verwenden, sondern durch ganz andere Einflüsse auch im Körper des „Asketen“ landen.
Und weil er ja Experte zu sein scheint (einen Experten wird man als Zeitung sicher auch fragen, wenn man zu einem bestimmten Thema was veröffentlichen möchte), haut er mal raus, dass ja ganz viele junge Menschen (Jugendliche!) aufs Dampfen aufgesprungen seinen. Schade nur, dass er die neuesten Erkenntnisse dazu wohl nicht gesehen hat… so neu sind die sogar gar nicht mehr… nämlich, dass das E-Dampfen bei Jugendlichen völlig out ist. Einmal an einer Dampfe naschen ist keine Benutzung, sondern „Kosten“. Ein Glas Wein kosten ist auch keine „Säufer-Karriere“. Egal… es sei ihm verziehen.
Dann jedoch kommt die Krönung der „alternativen Fakten“:
„Das Nikotin in E-Zigaretten hat womöglich einen höheren Suchtfaktor als jenes im Tabak, da die Dosis leichter gesteigert werden kann. Damit droht uns eine weitere Gesundheitskrise durch eine neue Generation von Nikotinabhängigen.“
Das ist jetzt echt der Gipfel! Er stellt damit sämtliche wissenschaftlichen Erkenntnisse von „Kollegen“ (die auf dem Gebiet TATSÄCHLICH Experten sind) auf den Kopf. Das Nikotin in E-Dampfgeräten hat WOMÖGLICH (eines meiner Lieblings-Worte) einen höheren Suchtfaktor, als das im Tabak. Alles klar… aber das liegt nicht an der Substanz an sich, sondern weil man „die Dosis“ steigern kann. Was ist mit den NRT? Da ist auch DIESES Nikotin drin… und die Dosis lässt sich leicht erhöhen… z. B. indem man sich den ganzen Körper mit Nikotinpflastern zuklebt oder den kompletten Blister-Inhalt der Nikotinkaugummis in den Mund stopft… oder das Mundspray auf „Dauerfeuer“ schaltete, bis das Dösken alle ist.
Ganz ehrlich, Herr Shahrokh F. Shariat… es wäre angeraten, wenn Sie besser bei der „großen Hafenrundfahrt“ blieben und sich nicht weiter zu Suchtfragen äußern… scheint nicht Ihr stärkstes Fachgebiet zu sein.
Und an die Redaktion vom „Standard“: Jetzt warte ich auf einen Artikel über den Diesel-Abgasskandal… dazu könnten Sie ja dann als Experten einen Schreinermeister befragen!
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