Ohne Tasche keine Competition – ohne Concept besser keine Petition

competitionconcept

Das Leben hat sich verlagert… von draußen nach drinnen. Das hört sich nach „Früher-war-alles-besser-Gejammere“ an, ist aber, wenn man einmal die Augen öffnet, nicht von der Hand zu weisen.
Es gibt zwar auch eine Demo-Inflation (als ehemaliger Berliner kann ich ein Lied davon singen), aber die wirklichen Groß-Demos sind nicht mehr an der Tagesordnung.

Heutzutage bringt man seine Meinung, seinen Unmut, sein Anliegen online zum Ausdruck. Man schimpft in den Sozialen Netzwerken (SN), in Foren oder schreibt in seinem Blog (jau… so wie ich). Das ist, weil das vernetzte Leben Realität ist, auch nicht verwerflich. Auf diese Weise erreicht man eine Menge Leute und es kommt zu Diskussionen. Diejenigen, an die solche Äußerungen gerichtet sind oder die sie direkt betreffen, nehmen das aber häufig nicht zur Kenntnis. Das ist der große Unterschied zum Gang auf die Straße. Eine Kundgebung mit sehr vielen Teilnehmern, die ihre Meinung oder ihre Forderungen lautstark und öffentlichkeitswirksam heraus rufen, landet in den Medien, sorgt für Staus, stört das normale, ruhige Leben und wird zur Kenntnis genommen… auch von den Adressaten. Meinungsäußerungen und Forderungen im Internet gehen in der Flut der digitalen Schnipsel unter und können auch sehr angenehm von den Betroffenen ignoriert werden.

Will man nun mit einem Anliegen die Kräfte bündeln und dies nicht mit einer Kundgebung oder Demo tun, so kann man die Stimmen „sammeln“ und in Form einer offiziellen oder inoffiziellen Petition tun. Ob diese etwas bewirkt und ob sie überhaupt wirklich zur Kenntnis genommen wird… nun das hängt von vielen Faktoren ab und soll hier auch nicht diskutiert werden.

In den guten alten Zeiten des vordigitalen Zeitalters wurden solche Petitionen auch „auf der Straße“ organisiert. Auch heute findet man – allerdings immer seltener – Unterschriftenlisten in einigen Ladengeschäften… oder man sieht in Fußgängerzonen oder an Straßenecken kleine mobile Stände, an denen die Unterschriften für die Petitionen gesammelt werden. Allerdings verliert diese Form der Meinungsäußerung immer mehr an Bedeutung, weil es das Mittel der Online-Petition gibt.

Weil sich ohnehin sehr viele Menschen tagtäglich im Netz bewegen, erreicht man hier viel einfacher Unterstützer für das eigene Anliegen. Und auch die Hemmschwelle zur Teilnahme ist geringer… allein, weil es wirklich keinen Aufwand erfordert… ein Häkchen setzen, die Mail-Adresse rein (evtl. meist nicht verpflichtend auch noch andere persönliche Daten), absenden… und man hat das gute Gefühl, etwas Wichtiges und Richtiges gemacht zu haben.

Eine Online-Petition zu starten ist auch sehr einfach. Man muss nicht erst einen Text zu Papier bringen, Unterschriften-Listen erstellen, das ganze kopieren, an sinnvollen Stellen verteilen und sich vielleicht noch bei Wind und Wetter selbst mit einem Stand auf die Straße stellen.
Nein, kurz ein Text verfasst, ein paar Klicks auf der Seite eines Online-Petitions-Abieters (Avaaz, Campact, Change.org, openPetition… [1]) und schon kann man sich zurücklehnen und beobachten, wie sich die Sache entwickelt. Vielleicht verlinkt man die eigene Petition noch an einigen prominenten Stellen in den SN oder in Foren… dann kommt die Sache schon von alleine ins Rollen. Es wird geteilt, was das Zeug hält und die Petition erreicht sehr viele Menschen.

Und genau hier sehe ich das Problem… nein… die Probleme!
Zunächst fällt auf, dass es eine wahre Petitions-Flut gibt. Das liegt daran, dass es so einfach ist (und kostenlos!!!), eine Online-Petition zu starten. Sehr häufig gehen dann, bei aktuellen Ereignissen, innerhalb weniger Tage mehrere unterschiedliche Petitionen zum selben Thema und mit gleichem Anliegen an den Start. Leider werden damit die Kräfte – was eine der Ideen einer Petition ist – nicht gebündelt, sondern zersplittert. Ein weiterer Nebeneffekt der Petitions-Inflation ist die Petitions-Müdigkeit. Wenn man am Tag mehrfach auf Petitionen aufmerksam gemacht wird und aufgefordert wird, diese zu unterstützen, vergeht einem irgendwann die Lust, dies zu tun. Vor allem, wenn man kaum die Ergebnisse und Resultate solcher Aktionen zu Gesicht bekommt.

Hinzu kommt der Effekt, das viele Petitionen wahren Schnellschüssen gleichkommen… oftmals zieht der Initiator schneller als sein Schatten. Die Gründe dafür sind nachvollziehbar. Man liest eine Meldung oder erfährt etwas über eine Sache, die einen mal so richtig ärgert. Man ist aufgebracht und muss seinem Unmut möglichst schnell Luft machen. Das kann doch so nicht sein… diese Sauerei muss eine andere werden… jawoll! Und dann wird ganz schnell eine Petition gestartet. Der Text ist noch stark von der schwelenden Wut gefärbt, aber egal… das muss jetzt sein… JETZT!
Und weil man schnell schießt und das aus emotional erregtem Zustand, sind die Texte (und damit die Aussage) der Petition oftmals… hmmm… ich sag mal ganz „seicht“ suboptimal. Es kann dabei durchaus vorkommen, dass der Text im Endeffekt vom Adressaten sogar als Waffe gegen die Initiatoren und Unterstützer verwendet werden kann, weil er unüberlegt und unausgegoren ist. Man reicht dem „Gegner“ den Spieß, den er dann genüsslich umdreht. Und ist die Petition gut unterstützt, so hat der Spieß die Länge aller Unterstützer. Schönes Eigentor!

Beispiel gefällig? Na… erinnert Ihr Euch noch an die Sache mit der „Droge Sonne“ und den Rationierungsplänen (Europaweiter Kampf gegen Drogenabhängigkeit – Die Sonne wird rationiert)?

Nun wurden die Pläne für den Abschattungssatelliten gerichtlich gekippt… aber wie schützt man denn nun den Bürger vor dieser bösen Drogen-Sonne? Der Sonnenbeauftragte der Bundesrepublik hat dazu kürzlich öffentlich geäußert, dass er eine Sonnensteuer empfehle. Damit würde das Sonnenbaden teurer und unattraktiv insbesondere auch für Kinder und Jugendliche. In anderen Bereich klappe das ja auch… es gibt ja auch nahezu keine Jugendlichen, die mit Autos umherfahren, die mehr als 25 Liter Sprit auf 100 Kilometer schlucken. Da hat die Kraftstoff-Steuer doch auch geholfen… gerade bei Kindern und Jugendlichen.

Nun, die Sonnenanbeter sind aufgeschreckt und haben das Gefühl, die Sache mit der Sonnensteuer sei quasi schon beschlossen, obwohl es sich nur um das Geblubber eines ansonsten in der Öffentlichkeit kaum beachteten Mannes handelte. Und schwupps… da kommen sie… die Petitionen gegen die Sonnensteuer. Die Tinte der Meldung – wäre sie mit Füllfederhalter geschrieben worden – ist noch nicht einmal trocken, da schlägt die erste Petition auf und wird verbreitet. Und weil die meisten, die die Sonne mögen, nicht als Spielverderber dastehen wollen oder auch gerade noch mächtig aufgebracht sind, wird auch fleißig gezeichnet. Und das obwohl der in Rekordzeit und ohne Absprache oder Inanspruchnahme von Hilfe geschriebene Text ausgesprochen… suboptimal ist.
Gut… ein paar Leute machen den Initiator auf ein paar kleine Missgeschicke im Text und auf ein paar Rechtschreibfehler aufmerksam. Kein Problem… wird der Text halt überarbeitet.

Aber mal ehrlich… die Sonnensteuer soll nicht morgen oder nächste Woche kommen. Es ist nicht einmal gesagt, dass sie kommt… es hat sich nur eine „wichtige Persönlichkeit“ dafür ausgesprochen, dass sie doch kommen solle. So wäre Zeit gewesen, die Petition auf ein viel besseres Fundament zu stellen. Man hätte in seiner Rage Notizen machen können und die Idee zu der Petition auch ruhig öffentlich verbreiten. Die Wut flaut dann langsam ab und erlaubt wieder klarere Gedanken. Der Gang an die Öffentlichkeit würde auch Leute auf den Plan rufen, die insgesamt nicht so emotional oder einfach nüchterner und beherrschter sind… und man könnte über ein paar Tage länger einen sinnvollen und sauberen Petitionstext erarbeiten. Der klingt dann oft auch besser und bringt über die seriöse Erscheinung vermutlich noch mehr Menschen dazu, die Petition zu unterstützen. Und man liefert dann vielleicht keinen offensichtlichen Spieß an den Gegner. Vier Augen sehen mehr als zwei Augen, sechs Augen sehen mehr als vier Augen, acht Augen sehen mehr als sechs Augen, …

Weiterer Vorteil: Der Text muss nachträglich nicht angepasst werden. Das ist auch so eine Unsitte bei manchen Online-Petitionen. Der Schnellschuss erscheint dem Initiator nach ein paar Tagen als nicht perfekt… also wird hier was geändert, da was gestrichen und dort was hinzugefügt. Und weil man so hektisch war, sind auch noch etliche Rechtschreibfehler drin… die müssen raus, man will ja seriös auftreten.
Nun, bezüglich der Rechtschreibfehler habe ich da keine Probleme, wobei die bei längerer Ausarbeitung unter Nutzung von Synergie-Effekten auch kaum noch vorhanden sein sollten… aber inhaltliche Änderungen? Nein! Das widerspricht meinem Verständnis einer Petition. Wenn jemand unterzeichnet hat und einige Zeit später der Text verändert wird, so dass er inhaltlich eine andere oder erweiterte Aussage hat, so befindet sich die Unterschrift nun unter einem Text, den der Unterzeichner so vielleicht nicht unterstützt hätte… und er bekommt nicht einmal etwas davon mit, denn er wird nicht benachrichtigt.

Nun… die Presse ist derzeit wieder auf Stampede gegen uns Dampfer… auf einigen Stieren reiten politische Ochsen mit und grölen ihre Forderungen oder einfach Lügen über das Dampfen raus. Da gibt es derzeit recht oft einen Anlass, eine Petition zur Rettung des Dampfens auf den Weg zu bringen. Allerdings möchte ich die gesamte Community darum bitten, soetwas nicht übereilt zu starten. Es ist für uns zwar immer höchste Zeit  😉 … aber die Zeit, etwas Vernünftiges zu gestalten bleibt doch irgendwie… und wir sollten sie uns auch nehmen, wenn wir eben kein Eigentor schießen wollen. Es finden sich immer einige, die einen zumindest bei der Grundlegung der Petition und des enorm wichtigen Textes unterstützen. Eine Petition sollte ein klein wenig reifen, wie ein gutes Liquid. Und auch Kritik und Gegenstimmen sollte man nicht emotionsgeladen wegwischen, sondern zumindest anschauen und reflektieren. Ob und was man schließlich auf den Weg bringt, ist dann eh die eigene Sache… aber warum nicht eine große Zahl von Gehirnen nutzen, damit die Petition auch ein Erfolg werden kann?

Ach ja… und nicht alles, was man so liest, ist auch eine Petition wert… viele scheinbar schlimme – aber bei genauerer Betrachtung unwichtige – Dinge sollte man gepflegt auch mal ein paar Hand breit am eigenen Arsch vorbeiziehen lassen. Denn zu viele Petitionen erzeugen eine Hyposensibilisierung.

Und wenn es mir demnächst echt zu viel wird und ich mal wieder stinkesauer über eine richtig schlechte Petition bin, dann bringe ich selbst eine Petition auf den Weg… gegen zu viele Petitionen… DEN Text wollt Ihr dann aber sicher nicht lesen müssen… 😉  😀


[1]:

http://www.avaaz.org/de/

Startseite


https://www.change.org/de
https://www.openpetition.de/

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

* Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst du dich mit der Speicherung und Verarbeitung deiner Daten durch diese Website einverstanden. Bitte dazu die Datenschutzerklärung beachten.