Ich habe es mir schon vor längerer Zeit abgewöhnt, irgendwelche Beiträge einfach schnell mal zu „liken“ oder zu „teilen“. Nun… das bekommt nur keiner mit, denn ich habe schon seit vielen Jahren keinen Facebook-Account mehr und mein Twitterzugang ist „auf Eis gelegt“… soll heißen, ich behalte ihn, um Infos in die Timeline gespült zu bekommen. Aber ich poste da nichts, teile da nichts und like da nichts.
In den föderierten Sozialen Netzwerken kommt es hin und wieder mal vor, dass ich da den Daumen hoch recke, aber eher bei unverbindlichen Postings.
Ich habe nämlich die Erfahrung gemacht, dass Meldungen, die auf den ersten Blick ganz vernünftig erscheinen, dem zweiten oder dritten Blick nicht standhalten. Ab und an ist es auch nicht einfach durch weitere Blicke offensichtlich, was dahintersteckt. Dann braucht man intensivere Recherche. Die Mühe mache ich mir jetzt wirklich nicht immer. Aber manchmal lohnt es.
Bei der Angelegenheit, über die ich jetzt hier gleich schreibe, bin ich gar nicht selbst auf den Trichter gekommen, dass es neben der offensichtlichen Peinlichkeit noch viel tiefergehende und bedeutendere Peinlichkeiten gibt… das wurde mir erst durch einen Hinweis eines befreundeten Autors bewusst.
Das Dampfer-Magazin ist ja, wie ich feststellen musste, inzwischen so ziemlich tot. Nur die Facebook-Seite wird noch „bearbeitet“. Der Herausgeber Manfred S. konnte einen Mitstreiter gewinnen, der seit längerer Zeit vor allem internationale Artikel rund um das Thema E-Dampfen per DeepL übersetzt und dort teilt.
Und am 19. Mai postete dieser „Mitarbeiter der Redaktion“ den Anriss eines Artikels mit dem Titel „Es ist an der Zeit, dass der Einzelhandel die Verantwortung für das Dampfen von Minderjährigen übernimmt“ (im Original „It’s time for retailers to take responsibility for underage vaping“). Erschienen war der Artikel bei „medium“, einer amerikanischen Online-Publishing-Seite.
Ich persönlich hätte den Artikel nicht geteilt oder gar „geliked“. Und für diese Entscheidung hätte ich ihn nicht einmal ganz lesen müssen (was ich aber getan habe), denn schon beim Anriss wird klar, um was es da geht: ein Plädoyer für Disposables.
Dass es ein solcher ist, darüber mag der Titel vielleicht noch hinwegtäuschen, liest man aber weiter, dann merkt man schnell, dass es um genau diese Produktgruppe geht.
For the consumer looking to quit or avoid relapsing to smoking tobacco — the ease and convenience of being able to get your hands on a new vape can be the difference between success and failure.
Für Verbraucher, die mit dem Rauchen aufhören oder einen Rückfall vermeiden wollen, kann der einfache und bequeme Zugang zu einem neuen Vape-Produkt den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg ausmachen.
These products can also be a boon for store owners; vapes often have higher profit margins than traditional tobacco products which help small businesses increase their revenue. Selling vapes can also attract new customers who may not have otherwise visited the store.
Diese Produkte können auch ein Segen für Ladenbesitzer sein; Vapes haben oft höhere Gewinnspannen als herkömmliche Tabakprodukte, was kleinen Geschäften hilft, ihre Einnahmen zu steigern. Der Verkauf von Vapes kann auch neue Kunden anlocken, die das Geschäft sonst vielleicht nicht besucht hätten.
Ergänzung (24.05.2023, 16:58)
Und wenn das noch nicht deutlich genug ist, lässt doch der erste Abschnitt schon klar auf Einwegprodukte schließen, die hier gemeint sind. Die es in „Supermärkten„, „Shops an der Ecke“ (auch „Tante-Emma-Läden“ oder „Spätis“ bzw. „Kioske“) gibt und seit neuestem das Straßenbild prägen:
Whether in supermarkets, corner shops or the increasing number of vape shops, vaping products have become a common sight on high streets.
Ergänzung Ende
Ganz klar… hier geht es um die „Vorteile“ von Disposables. Also die „Vorteile“, die der Verfasser des Artikels, Martin Cullip, sieht.
Dann berichtet er von den Gefahren, welche dieser Produktgruppe in ihrem Fortbestand bedrohen. Als Grund für das Agieren gegen Disposables führt er in erster Linie den mangelhaften Jugendschutz an und macht auch gleich Vorschläge, wie man das verbessern könnte. Thema Nachhaltigkeit und Umweltschutz fallen hinten runter.
Gut… wenn man wie ein Besessener Artikel sammelt, übersetzen lässt und rasch teilt, dann kann sowas halt auch einmal durchrutschen. Nicht schön, kann aber passieren. Bei schreiberischer Fließbandarbeit kommt auch mal die Qualitätskontrolle zu kurz.
Was mich aber überrascht hat, war die Liste derer, die auf der Dampfer-Magazin Facebook-Seite zu dem Artikel ein „Like“ hinterlassen haben. Aber seht selbst:
Zumindest zwei Namen sollten in der Szene bekannt sein. Und bei beiden Namen hätte ich schon aufgrund des Inhalts nicht mit einem „Like“ gerechnet, positionieren sie sich doch ansonsten ausgesprochen gegen die Disposables.
Und noch überraschter (nett gesagt) war ich, als der medium-Artikel auch noch auf der Facebook-Seite von Vapers Insight geteilt wurde… mit der Anmerkung: „Sehr richtig was da gesagt wird.“
Nicht gelesen oder nicht verstanden, den Artikel? Echt ein Ding.
Aber es kommt noch dicker.
Wenn man nämlich schaut, WER den Artikel geschrieben hat. Also mir war „Martin Cullip“ erstmal kein Begriff. Und auch nicht die Organisation „Taxpayers Protection Alliance“, für die er dort schreibt.
Achtung! Jetzt kommt ein dicker Klumpen Filz, in dem man die WVA findet (gegen die in einem meiner Gastartikel laut Vapers Insight ja so schlimm „geframed“ wurde), Red Flag Consulting, das Consumer Choice Center (CCC), die interfraktionelle Gruppe „MEPs4Innovation“ im Europaparlament und die Gebrüder Koch (amerikanische Milliardäre und als radikale Rechte bekannt).
Diese Gebrüder Koch sind nicht nur die größten Geldgeber der radikalen Libertären in den USA, sondern finanzieren maßgeblich auch das CCC und damit die WVA. Die Kochs haben mehrere Dutzend Milliardärsfamilien um ihr ideologisches Projekt versammelt und dieses Konglomerat wird gerne auch als der „Kochtopus“ (in Anlehnung an den achtarmigen Octopus) genannt.
Das vom „Kochtopus“ finanzierte CCC findet sich auch unter einer Dachorganisation mit dem schönen Namen „Atlas Network“ mit zahlreichen anderen, von den Kochs finanzierten Organisationen (NGO, Think Tanks, …), ein. Atlas Network verbindet 500 Organisationen in 98 Ländern und bildet täglich eine kleine Armee von Propagandisten aus (sie rühmen sich, allein 2020 fast 4.000 Mitstreiter ausgebildet zu haben). Enorme Zahlungen erhält Atlas Network auch von den großen Zigarettenherstellern, also von Big-T.
Ihre Agenda bringen diese „Soldaten“ dann über die Sozialen Netzwerke, als Gastredner und Interviewpartner oder über Online-Medien an den Mann und die Frau.
Zu diesen Medien, die quasi zu Atlas gehören, zählen z.B. Vaping Today und InsideSources. Für InsideSources arbeiten u.a. das CCC und verschiedene „Kochtopus“-Denkfabriken, wie z.B. die „Taxpayers Protection Alliance“.
Und hier schließt sich der Kreis! Die Taxpayers Protection Alliance ist eine amerikanische Anti-Steuer-Non-Profit-Organisation mit typisch libertärer Gesinnung. Sie ist bemüht über die IGO Watch, immer mehr Einfluss bei der WHO zu erlangen und droht, falls das nicht geschieht, damit, dass die Zahlungen der USA an die WHO ausbleiben könnten. Zu den Basisbewegungen gehört übrigens auch… na…? Genau, das CCC.
Insgesamt kann man festhalten, dass die Taxpayers Protection Alliance, für welche der geteilte und mit Likes versehene Artikel geschrieben wurde, über zahlreiche Fäden nahezu ausschließlich am Tropf der Tabakindustrie und des „Kochtopus“ hängt.
Ein Propaganda-Artikel, finanziert von Big-T, der versucht, Disposables in ein besseres Licht zu rücken. Das ist es. Nicht mehr und nicht weniger.
Ok… diese Zusammenhänge zu finden, ist jetzt nicht ganz trivial und ich hätte das auch nicht ohne den Tipp so ohne weiteres gefunden (mir hat schon der Widerspruch mit dem Plädoyer für Disposables gereicht… da hätte ich nicht ohne Anstoß weiter recherchiert).
Das ganze ist ein echter Sumpf. Und nein, ich hab mir das nicht ausgedacht. Wer mehr und weitergehende Hintergründe dazu haben möchte, der liest mal diesen (echt langen und anstrengenden) Artikel bei Le Monde: „Vaping: The real dollars behind fake consumer organisations“, der dort als Ergebnis intensiver investigativer Recherche unter dem Label „#BigTobacco21 – The vapor trail“ erschienen ist. Aber ich warne abermals… er ist sehr lang und intensiv. Und man sollte, um sich eine Meinung zu bilden, unbedingt die einzelnen Aspekte auch selbst nachrecherchieren. Außerdem findet sich in dem an sich sehr guten und hervorragend recherchierten Artikel nämlich auch so einiges, politisch gefärbtes, Geschwurbel. Mein Tipp: Einfach nicht drüber nachdenken. 😉
Aber nachdenken sollte man immer, bevor man Beiträge irgendwo teilt oder mit einem Like versieht (vor allem als Konsumentenverbandsvorsitzender oder als einfaches Mitglied). Trau, schau wem!
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