Sie scheint ja doch einige Beachtung zu finden (vor allem auch in Dampfer-Kreisen), die „neue Studie“, die „beweisen“ soll, dass Dampfen unweigerlich zu Krebs (und anderen Erkrankungen) führt… in 10, 15 oder 20 Jahren oder so.
Forecasting vaping health risks through neural network model prediction of flavour pyrolysis reactions (arch) (pdf)
Nun hatte ich es mir ja eigentlich „abgewöhnt“, mich öffentlich mit solchen Studien zu befassen. Ich befasse mich zwar noch immer mit Studien… aber im stillen Kämmerlein nur für mich. In den letzten Jahren war es ja auch immer so, dass sich renommierte, seriöse Wissenschaftler zu vermeintlichen „Katastrophen-Studien“ öffentlich äußerten und diese relativierten oder widerlegten.
Doch die schlägt jetzt in Dampfer-Kreise offenbar hohe Wellen, so dass ich mal eine Ausnahme mache und ein paar Worte zur „Studie“ verliere. Nicht ins kleinste Detail, sondern eher in Bezug auf die Methodik und die neue Art der Studie, welche Künstliche Intelligenz als Basis verwendet.
Vorab muss klar sein: Künstliche Intelligenz kann maximal so intelligent sein, wie es die vorliegenden und genutzten Daten hergeben und wie intelligent die Macher der KI-Software sind.
Ich gehe mal davon aus, dass die KI-Software anständig ist. Und die Basis-Daten ebenfalls. Woran es aus meiner Sicht mangelt, ist das fehlende Verständnis für das Dampfen – insbesondere der physikalische Ablauf – an sich. Wenn man der KI nicht sagt, wie es wirklich funktioniert, dann kann sie auch nichts vernünftiges „einschätzen“ und es kommt Müll heraus… wie in der aktuellen „Studie“.
Schon bei der Zusammenfassung, dem „Abstract“ der Studie gehen beim ersten Satz die Alarmgocken an:
Abstract
Vaping involves the heating of chemical solutions (e-liquids) to high temperatures prior to lung inhalation.
Zusammenfassung
Beim Dampfen werden chemische Lösungen (E-Liquids) auf hohe Temperaturen erhitzt, bevor sie über die Lunge inhaliert werden.
„Hohe Temperaturen“… nun… „hoch“ ist relativ. Es ist aber zu befürchten, dass damit nicht 100° C gemeint sind (was sich dann im Verlauf des Studientextes bestätigt).
The chemicals used as e-liquid flavours are not specifically developed for vaping and are adopted from the food industry. Much like VEA, which is also widely used in foodstuffs and cosmetics, these compounds have a good safety record for these specific uses. However, it was not envisaged that they would be used in a significantly different manner that involves heating to high temperatures with inhalation into the lungs.
Die Chemikalien, die als Aromen für E-Liquids verwendet werden, sind nicht speziell für das Dampfen entwickelt worden, sondern wurden aus der Lebensmittelindustrie übernommen. Ähnlich wie VEA, das auch in Lebensmitteln und Kosmetika weit verbreitet ist, haben diese Verbindungen eine gute Sicherheitsbilanz für diese speziellen Anwendungen. Es war jedoch nicht vorgesehen, dass sie auf eine ganz andere Art und Weise verwendet werden, nämlich durch Erhitzen auf hohe Temperaturen und Inhalation in die Lunge.
Dann wird das altbekannte Argument gebracht, die Stoffe (es geht hier im Kern um Aromen) seien für den Konsum in Lebensmitteln entwickelt worden und in der Hinsicht auch sicher, aber halt nicht für die Inhalation.
Hier liegt schon der erste Denkfehler vor. Selbstverständlich werden Aromastoffe beim Essen oder Trinken ebenfalls inhaliert. Wäre dem nicht so, würde man nichts schmecken. Ein Teil der Aromastoffe MUSS den Riechkolben passieren, denn dort und nur dort sitzen die Geschmacksrezeptoren für den spezifischen Geschmack. Die Zunge kann nur die Grundgeschmacksrichtungen (süß, sauer, salzig, bitter, umami) erfassen.
Deshalb wurde einem als Kind auch immer geraten, bei Schlucken von Medizin, die nicht gut schmeckt, die Nase zuzuhalten. Das verhindert nämlich dass die Aromastoffe an den Riechkolben gelangen. Und jeder weiß, dass der Tipp eher für’n Arsch ist, weil das Unangenehme bei vielen medizinischen Säftchen nicht der spezifische Geschmack ist, sondern meist die Bitterkeit. Und die nimmt man auch mit dicht geklemmter Nase wahr, weil das Zeug über die Zunge abgeht… wo „bitter“ registriert wird. Da hat der Richkolben keine Aktie dran.
Gerne wird dann von Zweiflern (auch aus der Blase) angebracht, beim Essen würde ja viel weniger Aroma in den Atmungstrakt und damit letztlich in die Lunge gelangen, als beim Dampfen.
Doch das ist ein Trugschluss. In Lebensmitteln sind die Aromastoffe weit höher dosiert, als beim Liquid, weil sich im Mundraum nur wenig von ihnen verflüchtigen und so an den Riechkoben gelangen. Würde man z.B. Erdbeerjoghurt vaporisieren können und dann „dampfen“, also wegatmen, dann wäre das extrem überdosiert und würde wahrscheinlich widerlich schmecken (Überreizung der Rezeptoren), wie man es von überdosierten Liquids kennt. Damit der Joghurt nach Erdbeere schmeckt, ist da ganz viel Erdbeer-Aroma drin, weil nur sehr wenig davon im Mund in die Luft (im Mund) gelangt und über den Riechkolben letztlich inhaliert wird.
Liquids sind wesentlich weniger aromatisiert, weil sie in Gänze vaporisiert und inhaliert werden. Schmeckt ein Liquid intensiv nach Erdbeere, vergleichbar mit dem Lieblings-Erdbeerjoghurt, dann gelangt ungefähr die gleiche Menge an Aromamolekülen über den Riechkolben letztlich in den Atmungstrakt.
Aber auch in dem Abschnitt kommt wieder die „relative“ Phrase „Erhitzen auf hohe Temperaturen“ vor. Es wird also weiter vorgebaut. An der Sache muss also was richtig „heiß“ sein.
Und dann kommt der Hinweis:
Studies have measured typical temperatures ranging from 100 to 400 °C depending upon factors such as power, heating coil materials, puff size and e-liquid quantity, with dry coil temperature measured above 1000 °C. Pyrolysis decomposition of flavours at these temperatures could produce large numbers of unknown secondary chemical entities, thereby hugely amplifying the health risks from each flavour.
In Studien wurden typische Temperaturen zwischen 100 und 400 °C gemessen, die von Faktoren wie Leistung, Heizspulenmaterial, Puffgröße und E-Liquid-Menge abhängen, wobei die Temperatur der Trockenspule bei über 1000 °C gemessen wurde. Bei der Zersetzung von Aromen durch Pyrolyse bei diesen Temperaturen könnte eine große Anzahl unbekannter sekundärer chemischer Stoffe entstehen, wodurch sich die von jedem Aroma ausgehenden Gesundheitsrisiken enorm verstärken.
Nun… wenn „Studien“ solche Temperaturen gemessen haben, dann wundert mich das nicht. Allerdings wurde da mit Sicherheit nicht am Aerosol selbst gemessen, sondern unmittelbar an der Heizspirale. Die wird so heiß. Seit es TC (Temperatur Control – temperaturkontrolliertes) Dampfen gibt, wissen wir, wie heiß die Wicklung wird… also der Draht. 100° C ist hier sogar realitätsfern niedrig. Wenn man die einstellen würde, käme nur ein laues Lüftchen aus dem Mundstück. Das mag vielleicht funktionieren, wenn man einen sehr hohen Wasseranteil im Liquid hat. Üblicher sind Temperaturen ab ca. 200° C bis 300° C. Nur selten geht es deutlich darüber.
Was jetzt die Erwähnung der über 1.000° C beim Heizdraht beim 3hit soll, ist für mich nicht nachvollziehbar… aber womöglich verständlich. Man hat sich halt ne Range von 100°C bis gut 1.000° C damit zurechtgelegt.
Man muss also davon ausgehen, dass Temperaturen von mehreren hundert Grad für die Experimente genutzt wurden.
Halt! Stop!
Hab ich „Experimente“ geschrieben? Es wurden ja gar keine Experimente durchgeführt. Kein Milliliter Liquid, kein Tröpfchen Aroma wurde auf 200, 300, 400, 500, 600° C erhitzt und geschaut, was dabei herauskommt.
Weil? Na, es gibt einfach zu viele Aromen… da würde man ja Jahre dafür brauchen. Das machen wir anders:
As hundreds of chemicals are used in tens of thousands of commercial e-liquid products, the experimental analysis of all their vaping induced chemistries and associated products could take decades of research. In this study, a holistic research strategy employing artificial intelligence (AI) was adopted to simultaneously investigate all flavours in e-liquids.
Da Hunderte von Chemikalien in Zehntausenden von kommerziellen E-Liquid-Produkten verwendet werden, könnte die experimentelle Analyse aller durch das Dampfen verursachten chemischen Stoffe und der damit verbundenen Produkte Jahrzehnte der Forschung in Anspruch nehmen. In dieser Studie wurde eine ganzheitliche Forschungsstrategie unter Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) angewandt, um alle Aromen in E-Liquids gleichzeitig zu untersuchen.
Es wurde nicht experimentiert, sondern simuliert. Unter Nutzung von KI. Es wurde über Algorithmen berechnet, was denn da an riskanten Stoffen entstehen könnte. Damit konnte man alle Aromen gleichzeitig „untersuchen“ (na ja… nicht untersuchen… eine Untersuchung per Software simulieren).
Currently, a unique opportunity exists to exploit AI to anticipate vaping risks in advance of their public health impact, which may take years to emerge.
Derzeit besteht die einmalige Gelegenheit, KI zu nutzen, um Risiken beim Dampfen zu antizipieren, bevor sie sich auf die öffentliche Gesundheit auswirken, was Jahre dauern kann.
Und man nutzt die KI dann auch gleich dafür, weiterzuspinnen, wie sich diese Stoffe auf den Konsumenten auswirken könnten… auch simuliert…
Weil man Interaktionen von vielen komplexen Chemikalien nicht simulieren kann, hat man sich übrigens nur auf die Pyrolyse beschränkt, also die chemische Zersetzung einzelner Substanzen bei bestimmten „hohen“ Temperaturen.
Workflow for e-liquid flavour risk identification and classification
All 180 flavours were subjected to a common workflow that blended NN pyrolysis prediction with experimental electron-impact mass spectrometry (EI-MS) data.
Arbeitsablauf zur Identifizierung und Klassifizierung des Risikos von E-Liquid-Aromen
Alle 180 Aromen wurden einem gemeinsamen Arbeitsablauf unterzogen, der die NN-Pyrolysevorhersage mit experimentellen Elektronenstoß-Massenspektrometriedaten (EI-MS) kombinierte.
…
Using specifically written script, the molecular weight of each NN predicted product from each flavour was correlated against the MS fragmentation masses for that flavour.
Mithilfe eines eigens geschriebenen Skripts wurde das Molekulargewicht jedes NN vorhergesagten Produkts aus jedem Aroma mit den MS-Fragmentierungsmassen für dieses Aroma korreliert.
Man hat dann 180 Aromen ausgewählt und simuliert deren Pyrolyse berechnet… und das ins Verhältnis zu einigen bekannten realen Experimenten zur pyrolytischen Zersetzung von Stoffen gesetzt.
Nach dem Motto: So ist es bei Stoff A, wie das Massenspektrometer zeigt, also muss es bei den 180 anderen Stoffen simuliert wohl so und so sein.
Sehr viel Spekulatius…
Da steckt also viel Simulation und Spekulation drin… aber der Kern, welcher die „Studiensimulation“ platzen lässt, ist ein ganz anderer:
Das Progrämmle hat also – auf einer gewissen Datenbasis, die sicherlich aus der Realität resuliert – berechnet, in was Aromen zerfallen, wenn sie auf bestimmte Temperaturen erhitzt werden. Leider haben sie an keiner Stelle angegeben, für welche Temperaturen die Simulationsberechnung denn nun durchgeführt wurde. Da bin ich jetzt mal gehässig und behaupte frech, es ging da schon so um mächtig und richtig heiß… schließlich sollte das (für das Dampfen) schlechte Ergebnis herauskommen. Keine Ahnung, wer die Musike bezahlt hat… aber derjenige bestimmt halt die Playlist. 😉
Die „Wissenschaftler“ und die KI wussen also welche Aromastoffe in Liquids sind und wie heiß die gemacht werden.
Nur… weder die Fütterer der KI-Software, noch die KI selbst wissen, was im Verdampfer tatsächlich passiert.
Ich hatte das ja schon einmal im Artikel „AFAIK 18 – Atomizer und nicht Kochtopf“ ausgeführt… das Liquid wird NICHT komplett auf die Temperatur ernhitzt, die man eingestellt hat oder die sich aus den Betriebsparametern (Leistung) ergibt. Würde sämtliches Liquid, welches sich an der Wicklung befindet und welches zum Aerosol wird, auf die Temperatur der Heizwendel erhitzt, dann könnten wir das nicht inhalieren, ohne uns die Lunge zu verbrennen und kläglich zu ersticken, wie ein Brandopfer durch das Einatmen der heißen Verbrennungsgase. Die Hitze des Heizdrahtes dient lediglich zur Beschleunigung (Umwandlung in kinetische Energie) der unmittelbar am Draht liegenden Liquidmoleküle, die dann die wesentlich… weeesentlich… geringer erwärmten Liquidmoleküle darüber aus ihrem Verbund reißen und in ein Aerosol vaporisieren (zerstäuben… „verdampfen“ ist nämlich eigentlich falsch, weil hier nicht eine gasförmige Phase inhaliert wird, sondern ein Feuchtaerosol aus winzigsten Flüssigkeitstropfen).
Wenn die KI nun annimmt, das gesamte Aroma wird auf ganz viele Grad Celsius erhitztz, wobei es sich zersetzt, dann ist die Basisannahme schon einmal vollkommen falsch. Sicher werden einzelne Aromamoleküle direkt am Draht so erhitzt und zerfallen womöglich auch, aber die Masse zerfällt eben nicht, weil sie nicht so heiß wird.
Kann das mit der Menge stimmen, oder denk ich mir das gerade nur „schön“?
Nun… bitte mal den gesunden Menschenverstand ausnahmsweise einschalten!
Würde eine wirklich relevante, also große Menge (der ohnehin nur gering im Liquid vorhandenen) Aromamoleküle überhitzt werden und dabei in pöhse Giftstoffe zerfallen, dann würde das Liquid ja nicht mehr nach dem schmecken, wonach es schmeckt. Die Zerfallsprodukte schmecken halt nicht nach Erdbeere. Das bedeutet, in der Realität… in der Verdampferkammer werden fast keine Aromamoleküle durch Pyrolyse zersetzt. In was die wenigen einzelnen Moleküle zerfallen, DAS kann uns die KI sagen. Aber über die Menge kann sie nicht im Ansatz eine Auskunft geben, weil die physikalischen Vorgänge viel zu chaotisch sind, um Vorhersagen treffen zu können. Hier können nur tatsächlich in Echt durchgeführte Experimente unter wirklich realistischen Bedingungen quantitative Ergebnisse bringen. Und das haben sie nicht gemacht. Qualitativ, also was da entstehen kann, das können sie berechnen… quantitativ, also wie viel davon, das können sie eben nicht berechnen. Da unsere Liquids aber nach dem schmecken, wonach sie schmecken sollen, muss man davon ausgehen, dass der Großteil der Aromamoleküle sich eben gerade nicht zersetzt (was nicht verwunderlich ist, weil nur gering erhitzt).
Nochmal mit dem Verstand spielen? Vielleicht um abzuschätzen, welche Temperaturen die KI angenommen hat?
Nun… man muss von deutlich über 250° C ausgehen. Denn sonst würden Kekse und Kuchen nicht mehr nach dem schmecken, wonach sie schmecken sollen. Denn beim Backen werden sie ALLE komplett auf solche Temperaturen erhitzt… auf Temperaturen, die typisch auch für das Dampfen sind (180-240° C). Sie müssten sich dann komplett zersetzen. Und außerdem hätten wir alle schon nach 10, 15 oder 20 Jahren seit dem ersten Keks den Kekskrebs.
Fazit: Das ist keine Studie, das ist die Aufzeichnung eines Computerspiels.
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