Wenn Realitätsnah nicht nah an der Realität ist

Freudig verkündet das Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin ITEM, dass es nun eine „Referenz-E-Zigarette“ entwickelt hat, mit der man ganz genau feststellen kann, bei welchen Temperaturen welche eventuell problematischen Stoffe in welcher Menge entstehen.

Klingt zunächst echt gut… insbesondere das Versprechen, dass nun alle Liquidtests damit auf absolut vergleichbaren Testbedingungen fußen können. Die sogenannte EVape soll das Referenz-Prüfgerät für Liquids werden.

„We plan to license EVape in the future and make it available to labs, regulatory authorities, and industry. Our goal is for EVape to be used as a reference device so e-liquids don’t reach the market before being tested using our testing system.“

Davor bewahre uns „wer auch immer“…

Jedenfalls erschien im MedicalXpress ein Artikel, in welchen der/die/das EVape vorgestellt und gepriesen wird:

EVape helps improve consumer safety in the e-cigarette segment (arch)

„EVape trägt zur Verbesserung der Verbrauchersicherheit im Segment der E-Zigaretten bei“

Im Artikel wird dann erstmal wieder erzählt, dass man ja nicht wisse, was da so im Pfrunzel aus dem Liquid wird, weil ja jedes Pfrunzel mit unterschiedlichen Temperaturen arbeite und die sogar noch bei jedem Device unterschiedlich eingestellt werden könnte.

Ja… stimmt. Das ist absolut individuell für jeden Verdampfer in Kombination mit jedem Akkuträger. Aber… neee… dazu später….

Mit ihrem Gerät aber könnte nun für jedes Liquid absolut exakt bestimmt werden, was und wie viel von welchem möglichen Schadstoff entsteht.

Und damit auch jeder die Notwendigkeit einsieht, führen sie als Beispiel Sucralose an. Ein Stoff, der aufgrund eines künstlich aufgeblasenen „Skandals“ vor einigen Jahren einen schlechten Ruf bekommen hat.

Egal… ein bisserl Framing muss sein… vor allem, wenn man sein neues Produkt anpreisen möchte (und auf eine Art Monopolstellung hofft). 😉 😀

EVape sorgt für Verdampfung unter kontrollierten Bedingungen

…wird verkündet…

Mit EVape haben die Forscher nun ein patentiertes System entwickelt, mit dem sich E-Liquids über den gesamten relevanten Temperaturbereich testen lassen. Das war bisher nicht möglich, ist aber sehr wichtig, denn bei einer toxikologischen Risikobewertung muss berücksichtigt werden, dass die Temperatur im Inneren von E-Zigaretten je nach Modell und eingebautem Akku stark variiert.

Na jedenfalls haben sie ein System entwickelt, das es ermöglichen soll, Liquids in Hinblick auf thermische Zersetzung exakt zu analysieren.

Boah was war ich gespannt, wie das funktionieren soll. Na ja… es wird dann erläutert… und ich habe noch andere Quellen herangezogen, die ich hier ausnahmsweise mal nicht nenne, die aber auch nicht relevant sind, weil das Bild und die Beschreibung sehr genau zeigen, wie das Dingen funktioniert.

Gespannt war ich deshalb, weil es in meinen Augen schier unmöglich ist, das für jedes denkbare Device zu ermitteln. Zu unterschiedlich sind die Verhältnisse in den verschiedenen Verdampfern, weil zu unterschiedlich auch die Funktionsprinzipien sind.

Vor allem halte ich es für ausgeschlossen, festzustellen, wie viel Liquid denn nun pro Zug insgesamt auf die Verdampfer-Temperatur erhitzt werden. Denn es ist ja nicht nur Behauptung, sondern physikalische Tatsache, dass das Liquid des pro Zug erzeugten Aerosols nun wirklich nicht insgesamt auf die eingestellte (oder erzeugte) Temperatur erhitzt wird. Es hängt sehr viel davon ab, wie viel Liquid an der Wendel liegt, wo und wie das Trägermaterial an der Wendel positioniert ist. Dann kommt es auch noch auf das Drahtmaterial an, also auf dessen „Ansprechverhalten“… bedeutet: wie schnell erhitzt sich der Draht auf die Maximaltemperatur…

Wie will man das mit einem Referenz-Test-Pfrunzel machen? Das scheint doch kaum möglich.

Und tatsächlich… genau das wird auch nicht gemacht.

Das Funktionsprinzip wird so beschrieben:

Das E-Liquid wird plötzlich verdampft, während es der normalen Umgebungsluft ausgesetzt ist.

„Wir geben kleine Mengen des Liquids auf eine heiße Heizfläche, so dass es sofort verdampft. Dann wird der Dampf abgesaugt und kann analysiert werden, um festzustellen, welche Stoffe darin enthalten sind. Diese können mit den vor dem Verdampfungsprozess analysierten Stoffen verglichen werden, um Informationen über die Thermostabilität dieser Stoffe zu erhalten.“

Erste Ergebnisse zeigen, dass das Spektrum der gefundenen Stoffe von der Temperatur abhängt.

Und da fängt das Elend doch auch schon an. Im Real-Life-Verdampfer wird das Liquid nicht auf eine bereits auf Betriebstemperatur befindliche Wendel „gegeben“, sonder ein mit Liquid benetze Wendel wird erhitzt. Und das auch nicht schlagartig, sondern mit zunehmender Temperatur. Es kann durchaus vorkommen, dass die Heizwendel noch gar nicht die Endtemperatur erreicht hat, wenn der Zug schon beendet ist.

Beim EVape funktioniert das mit dem „kleine Mengen des Liquids auf die heiße Heizfläche geben“ so: Die Heizfläche ich ein Metallstreifen, der auf Betriebstemperatur gebracht wird. Dieser befindet sich in einer Glasglocke. Das Liquid wird aus einer vor dem Blech befindlichen Düse auf die Fläche bespritzt (wie ne Wasserpistole). Das entstehende Aerosol wird dann von Oben abgesaugt und kann analysiert werden.

Das ist ne nette Sache, hat aber mit einem Verdampfer mal so gar nichts zu tun. Denn erstens wird beim Dampfe, wie bereits erwähnt, nicht erst auf eine bereits heiße Wendel gebracht, sondern unter Liquidbenetzung erhitzt (steigende Temperatur), zweitens spielen die Strömungsverhältnisse der Zuluft eine wesentliche Rolle bei der Kühlung von Wendel und Liquid, und drittens spielt die Menge des an der Wendel anliegenden Liquids auch eine entscheidende Rolle, denn dieses Liquid kühlt einerseits da an der Wendel unmittelbar befindliche Liquid und zweitens wird ein nicht unwesentlicher Teil des „hinteren“ Liquids eben genau durch die Verdampfung des „Oberflächenliquids“ zerstäubt und mit der durchströmenden Luft durch das Mundstück gezogen. In einem Verdampfer passiert ne ganze Menge, was aber nicht der Fall ist, dass eine kleine Menge Liquid schlagartig, ohne jegliche kühlenden Einflüsse, erhitzt und in den Gasförmigen Zustand gebracht wird. Das Aerosol besteht nicht wirklich aus „Dampf“ (also aus der gasförmigen Phase des Liquids), sondern aus feinsten Tröpfchen, also eher einem Nebel.

…durch kontinuierliche EchtzeitTemperaturmessungen alle unter realistischen Bedingungen entstehenden Emissionen zu identifizieren.

Das ist Mumpitz! Die EVape hat nichts mit einem Verdampfer zu tun, mit keinem auf dem Markt befindlichen Verdampfer.

Wenn sie dann verkünden

Das tragbare Laborgerät… sorgt dafür, dass die Verdampfung unter kontrollierten Bedingungen stattfindet, so dass die Ergebnisse unabhängig von der verwendeten E-Zigarette sind und vergleichbar werden.

Hervorhebung durch mich

schreiben sie Quatsch. Die Ergebnisse sind grundsätzlich nicht vergleichbar mit dem, was in einem echten Liquidvernenebler (Verdampfer) entsteht und die Ergebnisse können gar keine Hinweise auf die im Aerosol dieser Devices enthaltenen Stoffe geben.

Insbesondere sind quantitative Aussagen damit gar nicht möglich, weil im Verdampfer kaum Liquid auf die Maximaltemperatur erhitzt wird und der Löwenanteil des Liquids mechanisch zerstäubt wird (mechanisch durch die sich schnell bewegenden und expandierenden Anteile des Liquids, was tatsächlich hoch erhitzt wird).

Puuuh…

Unser Ziel ist es, dass EVape als Referenzgerät eingesetzt wird, damit E-Liquids nicht auf den Markt kommen, bevor sie mit unserem Testsystem geprüft wurden.“

Nein, bitte nicht! Die Ergebnisse taugen schlicht nicht für eine Analyse des Gefährdungspotentials von Liquids.

4 Antworten zu „Wenn Realitätsnah nicht nah an der Realität ist“

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